Infanterie-Gewehr M 1809 (... auch "Neupreussisches") |
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Vorläufer:
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Infanterie-Gewehr Modell 1801
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Modifikation:
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Infanterie-Gewehr Modell 1809/39
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Nachfolger:
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Infanterie-Gewehr Modell 1841
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Infolge der katastrophalen Niederlage der
preussischen Armee in der Doppel-Schlacht von
Jena und Auerstedt verfielen nicht nur beinahe sämtliche bestehenden Regimenter der Auflösung, auch ging ein großer Teil der in den
Festungen,
Depots und Magazinen eingelagerten Waffen und
Munitions-Reserven verloren. So erbeutete die
"Grande Armée" bei ihrem Einzug in die preussische Hauptstadt
Berlin im Oktober 1806 allein rund vierzig-tausend Gewehre (wohl mehrheitlich vom
Modell 1801; Gründe siehe da), die im Berliner Zeughaus (siehe dazu WIKIPEDIA) eingelagert waren und den
Rheinbund-Truppen bzw. wohl ab Oktober 1807 in erheblichen Mengen auch den Truppen des verbündeten Herzogtums von Warschau (siehe dazu WIKIPEDIA) überlassen wurden, die insgesamt rund dreißig-tausend
Feuer-Waffen der alten preussischen Armee erhielten. Die bis dahin als
Haupt-Bewaffnung ausgegebenen bzw. deponierten, dann von den Franzosen kassierten oder erbeuteten Stücke des
"Altpreussischen" Modells 1780/87 wurden mit großer Wahrscheinlichkeit mehrheitlich vernichtet (zumindest wurden bislang keine mit Frankreich verbündeten Einheiten ausgemacht, denen "Altpreussische" Infanterie-Gewehre ausgehändigt wurden, so man von den Truppen des Herzogtums von Warschau absieht).
Eine unter Führung des preussischen
Generalmajors Gerhard J.D.W. von Scharnhorst (1755 – 1813; siehe dazu WIKIPEDIA) tätige
Militär-Reorganisations-Kommission, die in erster Linie mit der Neuaufstellung bzw. der Reform der preussischen Armee mit einhergehender Modernisierung beschäftigt war, kam in Analyse der Ursachen für die Niederlage, der eingetretenen Verhältnisse und der ausgemachten Mängel zum Ergebnis, dass u.a. auch die komplette Neu-Bewaffnung der Armee unumgänglich war.
Schon seit dem Jahr 1800 bzw. u.a. in Vorbereitung der Einführung des "Nothardt-Gewehrs" hatte eine preussische
Artillerie-Kommission in regelmäßigen Abständen verfügbare Feuer-Waffen aus dem In- und Ausland in vergleichenden Versuchs- bzw. Beschuss-Reihen getestet. Mit der Ziel-Stellung, ein neues Standard-Gewehr für die
Infanterie zu entwickeln, dass sich bzgl.
Reich-Weite, Durchschlags-Kraft und Treff-Genauigkeit mit den verbreiteten französischen und englischen Modellen messen konnte, in einzelnen Bau-Teilen untereinander austauschbar sein sollte und vor allem in technischen Details bzw. im
Kaliber gleichen Normen entsprechen musste, wurden diese Prüfungen noch im Jahr 1807 wieder aufgenommen. Und obwohl die Reorganisations-Kommission sich in vielen materiellen, uniformellen und organisatorischen Belangen an der verbündeten
russischen Armee orientierte, empfahl die Artillerie-Kommission, die zur gleichen Zeit auch neue
Geschütz-Modelle erprobte, das neue Modell in Anlehnung an das französische Infanterie-Gewehr
"Modèle 1777 modifié an IX" zu fertigen, dass in den Beschuss-Prüfungen – besonders unter dem Aspekt
Salven- bzw.
Peloton-Feuer - durchgehend gute Durchschnitts-Werte "erzielt" hatte und eine verhältnismäßig kleine Quote von Fehl-Zündungen aufwies. Gemäß des
"Gribeauval-Prinzips" wurde das französische Gewehr in verschiedenen Längen- und Qualitäts-Versionen gefertigt (bspw. als
Garde- und
Dragoner-,
Karabiner- bzw. Mousketon-Typ), die in diversen Komponenten untereinander kompatibel waren. Vor allem aber hatte sich das französische Gewehr im alltäglichen Gebrauch nicht nur in der
französischen Armee sondern auch in der
amerikanischen Armee seit über fünfundzwanzig Jahren bewährt.
Vergleichende Darstellung des französischen Infanterie-Gewehrs "Fusil modèle 1777 corrigé an IX" mit dem preussischen Infanterie-Gewehr Modell 1809 (Montage, Quelle u.a.: ► WIKIPEDIA)
Entfernung in franz. (!) Fuß/ Gewehr-Modell | ca. 200 Fuß (ca. 65 m) | ca. 400 Fuß (ca. 130 m) | ca. 600 Fuß (ca. 195 m) | ca. 800 Fuß (ca. 260 m) | ca. 1.000 Fuß (ca. 325 m) | ca. 1.200 Fuß (ca. 390 m) |
preussisches Infanterie-Gewehr M/1780 | 92 | 64 | 64 | 42 | 26 | 19 |
preussisches Infanterie-Gewehr M/1780/87 | 149 | 105 | 58 | 32 | 29 | 14 |
preussisches Infanterie-Gewehr M/1801 | 145 | 97 | 56 | 67 | - | - |
preussisches Infanterie-Gewehr M/1809 | 150 | 100 | 68 | 42 | - | - |
französisches Infanterie-Gewehr AN IX | 151 | 99 | 53 | 53 | - | - |
englisches Infanterie-Gewehr "Brown Bess" | 94 | 116 | 75 | 55 | - | - |
russisches Infanterie-Gewehr M/1808 | 104 | 74 | 51 | 49 | - | - |
schwedisches Infanterie-Gewehr M/1791/99 | 80 | 116 | 58 | 47 | - | - |
Angetreten waren ausgewählte Schützen in der Stärke eines Schützen-Trupps (ca. 10 Mann). Abgefeuert wurden pro Distanz zwanzig Salven. Als Ziel diente eine etwa 100 rheinl. Fuß lange und 6 Fuß hohe Palisade, die in etwa die Front eines gegnerischen Pelotons darstellen sollte.
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Mit A.K.O. vom 29. Mai 1809 wurde der Proto-Typ eines Gewehr-Modells zugelassen, das noch im gleichen Jahr in Potsdam, Neiße in Schlesien und Saarn im Rheinland in die serielle Fabrikation ging. Da die Infanterie in großen Teilen jedoch noch das – im Vergleich zum französischen "AN IX"-Modell - relativ groß-kalibrige "Altpreussische" Infanterie-Gewehr 1780/87 führte, die Arsenale hauptsächlich für dieses Kaliber
Patronen fertigten, darüber hinaus in allen Einheiten passende Kugel-Zangen verfügbar waren, lag es nahe, das neue Gewehr ebenfalls auf den 1773 befohlenen Mündungs-Durchmesser von 0,72 Berliner Zoll (etwa 0,71 rheinländische Zoll, heute ca. 18,56 mm; siehe dazu
Maße und Einheiten) zu kalibrieren. Darüber hinaus bot dieses – wohl von Scharnhorst persönlich durchgesetztes - Kaliber den Vorteil, dass auch erbeutete bzw. die Munition der Alliierten geladen werden konnte, die überwiegend von kleinerem Kaliber war.
Ende 1811 waren rund achtundzwanzig-tausend Stück verfügbar; eine erstaunliche Menge, so man die Widrigkeiten der Herstellung bedenkt. Sieht man jedoch, wie planlos die Gewehre über die einzelnen
Grenadier-,
Musketier und
Füsilier-Bataillone der ersten zwölf Infanterie-Regimenter verteilt wurden, kann man sich vorstellen, welches Durcheinander bei der Munitions-Beschaffung und -Bestückung bestand, denn neben dem "Altpreussischen" Modellen und dem Nothardt-Gewehr war die breite Masse der Garde-,
Linien- und
Landwehr-Infanterie mit
englischen und
russischen,
österreichischen, sächsischen, sogar
schwedischen Modellen bewaffnet. Selbst französische Beute-Gewehre fanden Verwendung. Für die praktische
Ausbildung bzw. für die Verwendung im Feld-Dienst bedeutete dieser Umstand, dass für jedes Gewehr-Modell ein individuelles
Exerzier-Reglement für den
Lade-Vorgang eingedrillt werden musste (u.a. die Drehung des Lade-Stocks, die Bedienung der Pulver-Pfanne etc.).
Nach einem Revisions-Bericht vom 16. November 1811 waren zu diesem Zeitpunkt bereits zweiundzwanzigtausend-vierhundert Gewehre an die Truppe ausgegeben worden (rund sechstausend wurden als Ersatz bzw.
Reserve zurückgehalten). Im Detail verfügten folgende Einheiten über das "Neupreussische" Modell:
Bis zum Januar 1813 konnten noch einmal rund elftausend zusätzliche Gewehre produziert werden, die jedoch in keiner Weise zur kompletten und somit auch nicht zur einheitlichen Bewaffnung sämtlicher Infanterie-Einheiten der preussischen Armee genügten. Ende 1815 waren dann bereits fünfundsechzig-tausend Stück produziert.
Über die Zahl der insgesamt produzierten Gewehre des Modells 1809 inkl. der modifizierten Version 1809/12 konnte bislang keine zuverlässige Quelle ausgemacht werden. Schätzungen, die auf dem durchschnittlichen Verschleiß basieren, aber auch die außerordentlich lange Friedens-Zeit berücksichtigen - benennen eine Gesamt-Menge von rund dreihundert-tausend Stück. Einzig aus der A.K.O. vom 10. September 1839 lässt sich ableiten, dass zu diesem Zeitpunkt mindestens achtzig-tausend Stück in der Art gebrauchsfähig waren, dass sie auf die Version vom
Modell 1839 (mit adaptierten Perkussions-Schloss) umgerüstet werden konnten. Annehmbar werden in der rund fünfundzwanzig-jährigen Dienst-Zeit weit über hundert-tausend Stück produziert und ausgegeben worden sein.
Vergleichende Darstellung preussischer Infanterie-Gewehre Von links nach rechts: ♦ Infanterie-Gewehr M/1780 ("Altpreussisches") ♦ Infanterie-Gewehr M/1801 ("Nothardt-Gewehr") ♦ Infanterie-Gewehr M/1809 ("Neupreussisches") (Buch-Illustration, Quelle ► "napoleon.org")
Auffälligstes Merkmal des "Neupreussischen" Infanterie-Gewehrs ist die Lauf-Befestigung, die nicht mehr (wie bei sämtlichen Vorläufer-Modellen) über Stifte - sondern gleich dem französischen Vorbild über Messing-Ringe erfolgte, die den Lauf sicherer am Schaft fixierten bzw. das Auseinander-Nehmen und Reinigen der Waffe erheblich erleichterten. Ebenfalls aus Messing waren die Kolben-Kappe und das Seiten-Blech, der Abzugs-Bügel und das Korn auf dem ersten Ring; Lauf, Stifte und Schrauben, Schloss, Abzug, Riemen-Bügel aus Stahl. Auch der nunmehr herz-förmig durchbrochene Hahn des Schlosses kommt dem französischem Vorbild sehr nahe. Der lederne Gewehr-Riemen war traditionell rot lackiert, hingegen ist es umstritten, ob die Nussbaum-Schäfte gleich den Vorgängern sämtlich schwarz gebeizt waren (diverse zeitnahe Abbildungen stellen dieses Erscheinungs-Bild in Frage). Auf das bis dahin sämtliche Vorläufer-Modelle zierende "Daumen-Blech" mit dem Monogram des jeweiligen Regenten am Kolben-Hals wurde ab den Serien von 1809 ausnahmslos verzichtet.
Bis zum Jahr 1812 lassen sich die einzelnen Fertigungs-Reihen durch kleinere Veränderungen bzw. Modifikation unterscheiden: So zeigten bspw. erst die ab 1811 hergestellten Gewehre das königliche Chiffre auf der Schloss-Platte und verfügten über eine praktische Bajonett-Befestigung nach Vorbild des österreichischen Infanterie-Gewehrs
"Modell 1798" bzw. des Nachfolgers von 1807. Für Änderungen nach dem Jahr 1812 wurden bislang keine Quellen ausgemacht.
War das Infanterie-Gewehr M 1809/12 in den
Befreiungs-Kriegen von 1813 noch eine begehrte, doch relativ selten gesehene Waffe, diente das adaptierte Modell M 1812/39 (Perkussions-Schloss) ab dem Jahr 1844 nur noch als Exerzier-Gewehr.
Ungefähr 165.000 Exemplare wurden vom US-Ordnance Department gekauft und dort auf das Percussions-Schloss umgerüstet.
Von oben nach unten: Mündung des preussischen Infanterie-Gewehrs M/1809 mit Blattfeder-Halterung ab 1811, Dillen-Bajonett M/1809 und Funktion der Blattfeder-Halterung: Nach dem Aufsetzen des Bajonetts schnappt die Blattfeder über die Wulst der Dille und rastet nach einer Dreh-Bewegung in die Nut. Das Bajonett ist somit in der Vor- und Rück-, sowie in der Dreh-Bewegung arretiert. ( Montage, Quelle u.a.: ► "waffensammler-kuratorium")
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Hersteller-Angaben |
Entwickler: |
keine Quellen |
Fabrik (Gravur): |
Potsdam 'Potsdam' |
Hersteller (Gravur): |
'G.S.' (Gebrüder Schickler) |
Fabriktionen (weitere): |
Spandau, Potsdam, Neiße, Danzig, Saarn, Suhl |
Produktionszeit: |
1809 - 1839 |
produzierte Stückzahl: |
ca. 300.000 Stück |
Verbreitung: |
Preussen, rheinische Provinzen, später Anhalt
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Kategorisierung (allg.): |
siehe Muskete
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Segmentierung |
Gruppe: |
Vorder-Lader |
Bereich: |
Nahbereichs-Waffe |
Reichweite (effektiv): |
75 bis 250 m (max. 500 m) |
Sektion: |
glattläufige, flintenartige (Gewehre) |
Art: |
Muskete |
System: |
Steinschloss-Zünder |
Kadenz: |
3 bis 4 Schuss pro Minute |
Typ: |
Infanterie-Gewehr |
Modell: |
M/1809/12
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Die folgenden Angaben sind Orientierungs-Werte, die im Vergleich mit anderen Stücken deutlich schwanken können (
Hinweis öffnen).
Abweichende Mess-Werte beim Vergleich historischer Original-Exemplare finden ihre Begründung bspw. in Toleranzen bei der Herstellung. Auch gab es erhebliche und anhaltende Unstimmigkeiten zwischen dem Berliner und dem im Jahr 1773 eingeführten rheinländischen Maß. Abweichungen bei Schaftungen, Läufen etc. begründen sich in der Regel mit der Abnutzung oder in Folge von Umarbeitung, Reparatur und Reinigung (siehe dazu auch
Gewehr-Läufe). Abweichende Angaben in Quellen finden ihre Ursache u.U. in Umrechnungs-Fehlern (häufig wurde hier das engliche Zoll zum "Maß aller Dinge" bestimmt, auch kann die Vielzahl der zu dieser Zeit gültigen deutschen Maße zu Fehlern führen).
Angaben in Klammern benennen entweder Mittel-Werte verfügbarer Exponate oder beschreiben explizit das hier vorgestellte Beispiel. Die angeführten alten Maß-Angaben sind im Eintrag Maße und Einheiten erklärt.
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technische Angaben |
Gesamt-Länge: |
55,5 Berl. Zoll (ca.1.432,5 mm) |
Lauf-Länge: |
40,0 rheinl. Zoll (ca. 1.046,0 mm) |
Kaliber: |
0,72 Berl. Zoll (ca. 18,58 mm) |
Kugel-Durchmesser: |
0,64 rheinl. Zoll (ca. 16,74 mm) |
Pulver-Ladung: |
¾ oder ⅔ pr. Lot (ca. 11 bzw. 9,8 g) |
Bajonett: |
M/1809 |
Bajonett (Gesamt-Länge): |
22,0 rheinl. Zoll (ca. 575,4 mm) |
Bajonett (Klingen-Länge): |
18,0 rheinl. Zoll (ca. 470,8 mm) |
Bajonett-Halterung: |
Blattfeder-Mechanismus (ab 1811) |
Gesamt-Länge mit Bajonett: |
73,0 rheinl. Zoll (1.909,0 mm) |
Gewicht: |
4.450 g |
Gewicht mit Bajonett: |
4.874 g |
Schaft: |
Nussbaum-Vollschaft, schwarz gebeizt |
Lauf-Befestigung: |
Messing-Ringe |
Korn: |
Messing auf dem ersten Ring |
Kimme: |
nein |
Schlossblech-Länge: |
161 mm |
Feuer-Schirm: |
vorhanden |
Modifikation: |
Steck-Dreh-Verschluss ab 1811
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Ansichts-Exemplar |
Sammlung: |
Deutsches Historisches Museum (Berlin, GER)
Blücher-Museum (Kaub, GER)
Royal Armouries Collection (Leeds, UK)
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Detail-Ansicht: Steinschloss mit s.g. Feuer-Schirm des Modells 1809
Detail-Ansicht: Schloss und Gegenblech des Modells 1809
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