Deutschland während des Deutschen Bundes 1815-1866
Tafel aus Band IV der 6. Auflage von 1903 aus »Meyers (Großes) Konversationslexikon«/Bibliographisches Institut Leipzig.
(Quelle: ► eigene Sammlung)
Waren Anfang des 19. Jahrhunderts noch große Teile der deutschen Bevölkerung von den Idealen der französischen Revolution nach "Freiheit", "Gleichheit", "Brüderlichkeit" angetan, so wandelte sich diese Begeisterung spätestens unter den erfahrenen Eindrücken zu Beginn und während der Fremd-Herrschaft und den damit einhergehenden Abgaben und Plünderungen, den willkürlichen Repressalien und des zunehmenden Despotismus durch die französischen Besatzer bzw. deren Vasallen. Dass es in vielen Fällen deutsche Fürsten waren, die sich – bemüht um den Erhalt der eigenen Macht bzw. der Sicherung von Napoleons Gunst – bei der Unterdrückung der Bevölkerung in eigenen oder benachbarten deutschen Landen besonders hervortaten, ist in den meisten deutschen Büchern zur Geschichte nach wie vor unerwähnt; die Zeit brachte eine Vielzahl von Abenteurern und Helden-Gestalten auf, deren oft blinder Eifer im Kampf gegen die Invasoren von den Geschichtsschreibern in der Art verklärt wurde, dass die Schande der unzähligen hochgeborenen Kollaborateure in Vergessenheit geraten konnte. Die meisten dieser zu den "tapfersten der Tapferen" stilisierten Rebellen und Patrioten, Widerständler, Deserteure oder einfachen Marodeure, die sich der Order ihrer Kommandeure oder der Kapitulation ihrer Landesherren widersetzen und den Kampf gegen die französische Hegemonie nach eigenem Gutdünken fortsetzen -; bald aber auch für die damals erwachenden Werte von "Einigkeit" und "Recht" und "Freiheit" zu den Waffen griffen, wurden im wahrsten Sinne zu "Draufgängern"…
Mit den ersten Meldungen über den Verlauf des Russland-Feldzuges der "Grande Armée" war die in allen deutschen Landen brodelnde Stimmung kaum noch unter Kontrolle zu halten: Viele Pastoren und Pfarrer beider von Säkularisierung bedrohten oder bereits betroffenen Kirchen weihten die Freiwilligen und predigten den Widerstand; brave Bürger widersetzten sich zunehmend den Anordnungen der lokalen Obrigkeit und forderten die Volksbewaffnung; Soldaten und Offiziere drohten offen mit Meuterei oder verlangten ihre Entlassung aus dem Dienst bzw. ihre Entbindung vom Eid und wechselten bspw. in den Dienst der Russisch-Deutschen- oder der Kings-German-Legion. Am gefährlichsten für die bestehende Ordnung erwiesen sich jedoch die Studenten an den Universitäten: Wegen Renitenz hatte Napoleon bereits 1806 u.a. auch die Universität von Halle schließen lassen. Zwischen 1807 und 1808 etappenweise wiedereröffnet, wurde die rebellische Einrichtung dann mit dem Eintreffen der "Armée Détruite" an der Elbe im Frühjahr 1813 erneut geschlossen; hatte sich doch hier (neben den Universitäten von Wittenberg, Jena, Frankfurt a.d. Oder, Breslau, Greifswald u.v.a.) eine Bewegung entwickelt, die neben der Befreiung der deutschen Länder bald auch die "… freie Rede, die Verfassung, die Einheit des Vaterlandes… " zum Ziel des bewaffneten Kampfes erklärte.
Tausende Studenten rüsteten sich auf eigenen Kosten aus und traten als Freischärler in die im Frühling von 1813 zeitgleich überall entstehenden Freicorps. Mit den "Lützowern" stellte die Hochschule von Jena die Avantgarde zur Schaffung einer Republik. Die hier am 12. Juni 1815 gegründete Urburschenschafft stellt in ihrer Gründungsurkunde klar, das deutsche Volk "… gegen fremde Unterjochung und Despotenzwang zu schützen… " …
Eine deutliche Kampfansage an die etablierte, "gottgewollte" Monarchie, die die deutschen Fürsten -, insbesondere die erst vor relativ kurzer Zeit vom "Ursupator" erhobenen Potentaten von Bayern, Württemberg und Sachsen samt dem erst seit 1814 amtierenden König von Hannover um Status und Privilegien fürchten ließ. Bereits am 30. Mai 1814 – am Tag des Einmarsches der Alliierten in Paris – hatten sich die Regenten der deutschen Staaten im groben darauf verständigt, sämtliche Freikorps zeitnah aufzulösen bzw. als reguläre Einheiten in das gegebene Heer einzureihen. Ziel-Setzung war es nicht nur, die Freischärler in das System der militärischen Subordination einzuordnen, sondern auch jede Art von liberalem Gedanken-Gut umgehend durch die Militär-Justiz ahnden lassen zu können. Unter Führung des Habsburger Kaisertums – vor allem unter dem mächtiger als je zuvor agierenden und damit dominierenden preussischen Königtum – besiegelten am 8. Juni 1815 in erster Runde 38 deutsche Länder das "Verfassungsgesetz" zur Gründung des Deutschen Bundes.
Tatsächlich benannte die Gründungsurkunde – eine Anlage zur Wiener Kongressakte – weder irgendwelche Schritte oder Perspektiven hin zu einem geeinten Deutschland, noch verwies der Akten-Inhalt auf irgendwelche grundsätzlichen Abstimmungen hin zu einer Verfassungsgebenden Versammlung geschweige denn zu einem Gesetz-Buch, das grundsätzliche Bürger-Rechte garantierte. Tatsächlich hatte der Deutsche Bund einzig die Aufgabe, die innere und äußere Sicherheit der Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Tatsächlich war das Verfassungsgesetz nichts mehr als eine Stammrolle, deren Einzel-Posten nach Abschluss der Beratungen im Jahr 1831 die Stärken der einzelnen, von den Mitgliedsstaaten im Fall einer Mobil-Machung im Ersten Aufgebot zu stellenden Militär-Kontingente benannte. Erstmalige Verwendung fand die Bundes-Kriegsverfassung in Antwort auf die Unruhen von 1848; als es darum ging, die im Rahmen der revolutionären Unruhen und Erhebungen um Recht und Freiheit fürchtenden und kämpfenden Bürger zusammenzuschießen und niederzuhauen…
"Deutschland mit Dänemark und den Niederlanden." sowie Tabelle "Entwurf der Bildung des deutschen Bundes-Heeres nach den in den Grundzügen der Militär-Verfassung ausgesprochenen Bestimmungen"
Kolorierte Lithographie nach einer Vorlage von Adam Ignaz Valentin Heunisch, Verlag G. Braun, Carlsruhe 1820.
(Quelle: ► Deutsche Digitale Bibliothek)
Im Ergebnis der Beratungen zur Formulierung einer gemeinsamen Militär-Verfassung und den Vorbereitungen zur Bildung eines deutschen Bundes-Heeres zwischen 1818 und 1820 hatten sich die Gesandten der deutschen Klein-Staaten darauf verständigt, dass jeder Einzel-Staat unabhängig von seiner territorialen Größe ein bewaffnetes Kontingent zu stellen hatte, dessen Stärke in Friedens-Zeiten ein Prozent der jeweiligen Gesamt-Bevölkerung umfassen und im Fall eines Krieges durch die Mobilisierung der Reserve des ersten Aufgebots auf das Anderthalbfache verstärkt werden sollte. Für das Jahr 1819 hatte eine (wohl mehr oder weniger geschätzte) Zählung eine Gesamt-Bevölkerung von 30.163.488 Einwohnern ergeben; womit die Friedens-Stärke sämtlicher Heere zusammen 301.637 Mann betrug (siehe dazu »Neueste Zahlenstatistik der europäischen und außereuropäischen Staaten - Hülfsbuch für Staats-Geschäfts-Männer« von Christian Carl André, 1823).
Mit Bundes-Beschluss vom 10. März 1853 wurde eine Erhöhung der Soll-Stärke festgelegt (siehe dazu »Das Großherzogthum Baden, historisch-geographisch-statistisch-topographisch beschrieben« von Adam Ignaz Valentin Heunisch, 1857).
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