"Napoleon Bonaparte - Emperor"
Gemälde von Robert-Jacques-François-Faust Lefèvre in »The Wellington Collection« (Apsley House, London, UK).
Bildquelle: ► »art uk« (public art collection in the UK).
"Zusammenkunft der Monarchen zu Dresden im Mai 1812."
Colorierte Lithographie von Adolph Göhde; Verlag J. G. Walde.
Bildquelle: befreundeter Sammler.
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"In drei Monaten wird es erledigt sein!" hatte Napoleon – seit dem 2. Dezember 1804 selbsterklärter Kaiser von Frankreich und Protektor eines Staaten-Gebildes, das inzwischen halb Europa umfasste – seinen Vasallen versichert, die am 16. Mai 1812 in Dresden zu einer Konferenz zusammengerufen worden waren. Einbestellt waren Kaiser Franz I. von Österreich, durch Napoleons macht-politische Heirat mit Marie-Louise von Österreich inzwischen Schwieger-Vater des Imperators; der Gastgeber, König Friedrich August I. von Sachsen; sowie die Könige Maximilian I. Joseph von Bayern, Friedrich Wilhelm III. von Preussen, Friedrich I. von Württemberg, Joachim Murat von Neapel und Napoleons jüngerer Bruder Jérôme Bonaparte, von diesem zum König des Modell-Staates Westphalen gekrönt; die Großherzöge und Herzöge der deutschen Klein-Staaten, die Marschälle des Kaiser-Reichs und die Generäle der Rheinbund-Truppen. Und obwohl die durch Napoleons Gnade erhobenen bzw. von seiner Gunst abhängigen Monarchen sich von der veranstalteten Heer-Schau ausgewählter Einheiten eigener Armeen und der Parade der zwischen Februar und März neu uniformierten Kaiser-Garde begeistert gezeigt hatten, war die anfänglich zur Schau gestellte Freundschaft und Bewunderung bald nach Eröffnung der Versammlung in Sorge, Angst und – den Protokollen nach – in Ablehnung und offen vorgetragene Feindseligkeit umgeschlagen, denn an diesem Samstag hatten ihre schlimmsten Befürchtungen Bestätigung gefunden: Napoleon verkündete seine Pläne zur Unterwerfung des restlichen Teils des europäischen Kontinents: Die Eroberung Russlands.
Vielen der anwesenden Hoch- und Wohl-Geborenen waren die schlechten Straßen und Wege Russlands bekannt. Die ausgelegten Karten ließen die Frage aufkommen, wie das Okkupations-Heer angesichts der gewaltigen Entfernungen versorgt werden soll; wie die sich mit dem Ein- und weiteren Vormarsch stetig verlängernden Nachschub-Routen gesichert werden können. Einige brachten die spärliche Besiedlung in Erinnerung, was der bislang praktizierten Selbst-Versorgung der Truppen entgegenstand; andere warnten vor den klimatischen Extremen; vor staub-trockenen Steppen im Sommer, vor eisiger Kälte und Schnee-Stürmen im Winter und vom Dauer-Regen verschlammten Wegen in den Zwischen-Zeiten. Darüber hinaus waren rund 250.000 französische und deutsche Soldaten in dem seit 1808 auf der Iberischen Halb-Insel erbittert geführten Krieg gegen Briten, Portugiesen und spanische Guerillas gebunden; in Braunschweig schlugen sich immer wieder die eigentlich miteinander verbündeten französischen und westphälischen Soldaten untereinander; in Preussen und Sachsen zeigten sich insbesondere die Studenten immer renitenter…
Napoleon fegte sämtliche Bedenken der vorgeladenen Hoheiten vom Tisch: Seit über einem Jahr hatte er Informationen über die politische, gesellschaftliche, militärische und wirtschaftliche Lage in Russland eingeholt. Er hatte Reise-Beschreibungen, Wetter-Berichte und Karten-Werke studiert und die Geschichte des Russland-Feldzugs Karls XII gelesen. Französische Agenten, litauische Adelige und polnische Offiziere haben die Stärken der russischen Garnisonen in den mittelalterlich befestigten Städten erkundet und detaillierte Pläne gezeichnet. Die Grenzen zwischen Russland und Ost-Preussen bzw. Polen-Litauen waren weitestgehend ungeschützt; auch hatte man entlang der Marsch-Route in Richtung der russischen Hauptstadt Moskau keine nennenswerten Truppen-Verbände ausmachen können. Seit über einem Jahr waren im besetzten Preussen und im verbündeten Herzogtum von Warschau Depots angelegt und mit Vorräten gefüllt worden, die für eine halbe Million Soldaten über den Zeit-Raum eines Jahres genügen sollten; über 6.000 Fuhr-Werke standen für Transporte bereit. Das auf den Feldern der russischen Ebenen wachsende Getreide lasse Anfang Juli eine reiche Ernte erwarten; für die Pferde war in den ausgedehnten Steppen-Regionen genügend Futter gegeben. Als größten Vorteil stellte Napoleon jedoch Zeit und Geschwindigkeit und die daraus resultierende Überraschung heraus. Er beschrieb die russische Armee als schwerfällig, undiszipliniert und schlecht ausgebildet, dazu unzureichend ausgerüstet und minderwertig bewaffnet und vor allem "misérable" geführt, dazu in den seit geraumen Zeiten währenden Kriegen im Süden gegen das Osmanische Reich -, im Osten gegen aufständische Tataren und im Norden gegen die Schweden verwickelt. Noch bevor Zar Alexander seine europäischen Reserven in Bewegung setzen oder kampf-erfahrene Truppen von den Grenzen heranziehen könnte, ist Moskau gefallen und Russland gewonnen. Spätestens Ende September wird der Zar kapitulieren und noch vor dem Winter wird Napoleon im Triumph in den Kreml-Palast einmarschieren. In knapp sechs Wochen soll der Angriff beginnen.
So der Plan.
Dass es dem weitestgehend allein stehenden Russland noch vor Beginn des Feldzuges gelingen sollte, eine neue Koaltion zu begründen, die letztendlich den Untergang des französischen Kaiser-Reiches herbeiführen sollte, war für Napoleon in Anbetracht seiner gigantischen Streit-Macht unvorstellbar…
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